Grillwissen: Rückwärtsgrillen / reverse grilling
Das Pferd von hinten aufzuzäumen kann manchmal durchaus positiv sein: Ein Blick auf das Rückwärtsgrillen, die sogenannte ‘reverse grilling’-Grilltechnik.
Wie funktioniert das Rückwärtsgrillen?
Vor allem in der Grillwelt hat in den letzten Jahren bei vielen das Rückwärtsgrillen das “klassische” Steakbraten abgelöst: Während in den meisten Küchen das Steak erst in der Pfanne gebraten und anschließend im Ofen nachgart, wird beim “reverse grilling” (oder auch ‘reverse sear’) der Prozess umgekehrt: Das Fleisch wird zuerst auf den gewünschten Gargrad gebracht und dann erst angebraten.
Die Vorteile des reverse grillings
Man kennt das Problem: Man erwartet Gäste und möchte eine paar leckere, perfekt gegarte Steaks oder ein großes Roastbeef servieren. Bei mehreren Personen reicht oft die heimische Pfanne schon nicht aus, um mehrere Steaks gleichzeitig zu braten – Und diese dann allesamt auf den perfekten Gargrad zu bringen ist auch nicht ganz leicht. Wie man es dreht und wendet: Die Teller der Gäste kommen mit minutenlanger Verzögerung an den Tisch.
Abhilfe schafft hier das Rückwärtsgaren, bei dem das Fleisch vor dem Anbraten im Ofen auf die gewünschte Kerntemperatur (Rindfleisch medium: 56 °C) gebracht wird. Einmal bei der gewünschten Kerntemperatur angekommen, wird der Garvorgang unterbrochen, sodass das Fleisch nicht weiter gart und ruhen kann. Sitzen dann alle Gäste am Tisch, kann das Fleisch dann bei voller Hitze kurz scharf angebraten (oder bestenfalls im Oberhitzegrill angeknuspert) und dann zügig mit einer knusprigen Kruste serviert werden; Die Kruste weicht bei der traditionellen Vorgehensweise mit Pfanne und Ofen nämlich sonst auf.
Zusammengefasst: Das Rückwärtsgaren vereinfacht die Zubereitung mehrerer Steaks und großer Fleischstücke. Nicht nur der Gargrad ist leichter zu treffen, man hat ebenso weniger Vorbereitungen und das Servieren wird immens erleichtert.
Aber auch optisch überzeugt das rückwärts gegrillte Steak: Durch die kurze Bratzeit in der heißen Pfanne entsteht mit ein wenig Übung ein minimal grauer, übergarter Rand unterhalb der knusprigen und leckeren Kruste:
Rückwärtsgrillen: Ein alter Schuh?
Eigentlich ist das “Vorgaren” keine neue Idee und findet seit Jahrzehnten in der Gastronomie Anwendung. Die bekannteste Technik, die dem Rückwärtsgaren zugesprochen werden kann, ist zum Beispiel neben dem Vorgaren im Konvektomaten (=Dampfgarer) vorallem das Vorgaren von vakuumierten Lebensmitteln im gradgenau temperierten Wasserbad, dem sogenannten “sous vide”-Garen. Wie lange die Garzeit beim Rückwärtsgaren ist, lässt sich aber kaum per Faustformel bestimmen, vielmehr ist neben der Gartemperatur die Größe des Lebensmittels ausschlaggebend.
Übrigens: Wer (noch?) kein dediziertes sous vide-Equipment hat, kann auch mit dem alten Einkochtopf aus dem Keller tolle Ergebnisse erzielen!
Die Nachteile des Rückwärtsgarens
Während das Fleisch vorgart, schmilzt das intramuskuläre Fett und Flüssigkeit aus dem Gewebe verdampft. Dadurch neigen kleine und vor allem dünne Steaks schnell zum Austrocknen. Bei sehr dünnen Steaks verzichte ich daher, auch wegen der fehlenden Notwendigkeit, auf ein Vorgaren.
Temperatur zum Vorgaren
Um Fleisch vorzugaren empfehle ich eine Temperatur von 100° C bis maximal 120 °C. Bei durchwachsenen und großen Steaks, wie zum Beispiel Ribeye-Steaks von mehreren Zentimetern oder ganzen Roastbeef-Stücken, ist ein Temperaturbereich von 80 bis 100 °C ratsam – So gart das Fleisch besonders gleichmäßig und schonend bis zur gewünschten Kerntemperatur, ohne dabei einen grau gegarten Rand auszubilden.
Tipp: Große Fleischstücke garen immer 1 bis 2 °C nach, wenn sie aus dem Ofen oder vom Grill genommen werden. Das bestenfalls digitale Ofen-/Grillthermometer sollte deswegen leicht unterhalb der 56 °C-Grenze Alarm schlagen.
Ich hoffe, dass das Prinzip klar wurde und ihr den nächsten Abend mit Freunden etwas stressfreier verbringen könnt. Gutes Gelingen! ;-)